Homo Faber Von der Neuen Welt in die Alte Welt Inhaltsverzeichnis 1. Wahrnehmungsverschiebung 2. Was "Leben" wirklich bedeutet 3. Ein neuer Zeithorizont 4. Späte Erkenntnis 5. Bibliographie 1.Wahrnehmungsverschiebung Als Walter Faber seiner Tochter auf dem Ozeandampfer begegnet, hat er schon einen Teil seines Weges in die Alte Welt zurückgelegt. Unmerklich wird er dorthin getrieben, zurück zu Hanna, begleitet von Sabeth. Zu Beginn lernen wir einen selbstsicheren, erfolgreichen Ingeneur kennen, der in New York lebt und eine junge Freundin hat, die als Model arbeitet (heutzutage ein Traumberuf; wenn Frisch das geahnt hätte!). In der Neuen Welt hat er ein Zuhause gefunden, das ihm durchaus passt. Dort wird nicht lange an dem Sinn neuer Technologien herumstudiert, sie werden einfach gemacht, während Hanna im fernen Griechenland daran ist, von ihm unbemerkt sich erst einmal ein Bild unserer Vergangenheit zu schaffen. Doch zurück zu Walter Faber: Verschiedene Zufälle - er weigert sich standhaft, dies als Vorsehung zu deuten - lassen in ihm, der eigentlich nur an der Zukunft interessiert ist, Gedanken an die Vergangenheit wieder hochkommen. Im Flugzeug trifft er den Bruder seines Studienkollegen Joachim, der ihm anfänglich penetrant zur Last fällt. Noch bevor er dessen Identität kennt, lässt die Aehnlichkeit zu Joachim Vergangenes in ihm so stark hochkommen, dass er den Weiterflug nach einer Zwischenlandung nicht mehr antreten will. Schliesslich bricht er im Waschraum zusammen und wird von der Stewardess entdeckt und zum Flugzeug gebracht. Nun überschlagen sich die Ereignisse geradezu: Das Flugzeug stürzt ab, sie landen mitten in einer Wüste, wo es heiss ist und sie einige Tage herumsitzen müssen. Solches verabscheut Faber eigentlich zutiefst: Man kann sich nicht waschen, nicht rasieren, nicht duschen usw., all die Dinge, die in seinem New York selbstverständlich sind. Uns erstmals wird er gezwungen, sich mit demjenigen auseinanderzusetzen, was wohl sein grösstes Problem ist: der Entropie, dem Streben aller Materie im Universum, von einem Zustand hoher Energie in einen Zustand tieferer Energie zu streben; kurz gesagt: alles im Universum ist permanent am Faulen, geschweige denn, man steckt Energie hinein und bewahrt es vor dem Zerfall. Solches muss einem ETH-Ingeneur selbstverständlich klar sein, doch Faber scheint dies in seinem eigenen Leben zu negieren. Er hat sein Augenmerk auf Dinge gerichtet, die für den Menschen den Eindruck des Ewigen erwecken: Schiffe, Staudämme und Turbinen, mächtige Metallgebilde, die mehr Bestand haben als ein zerbrechlicher Menschenkörper. Doch dies ist selbstverständlich ein Irrtum: Auch diese Dinge zerfallen genauso zu Staub, nur in einem anderen zeitlichen Rahmen als organische Lebewesen. Ein eindrückliches Beispiel liefert für die heutige Zeit die wiedergefundene Titanic. Wenn man die Rostzapfen betrachtet, die überall herunterfliessen, bemerkt man schnell, dass auf jenem Fleck des Ozeanbodens irgendwann keine Titanic mehr da sein wird. Auch ihr Metall wird sich gänzlich aufgelöst haben uns sie wird - schier unglaublich für uns - in ihre Umgebung aufgegangen sein. Wie Homo Faber scheinen aber auch wir zeitweilig nicht wahrhaben zu wollen, dass unser Schicksal kein anderes ist: Wir trimmen uns in Fitnessclubs, kleiden uns modisch und unterziehen uns Schönheitsoperationen, weil wir den allmählichen Zerfall aufhalten wollen. Wir verhalten uns so, als gäbe es kein Altern, und die wirklichen Alten verabscheuen wir und stecken sie in Altersheime, um sie nicht ständig sehen zu müssen. 2. Was "Leben" wirklich bedeutet Nachdem Faber gerettet ist und eigentlich weiterreisen könnte, entschliesst er sich kurzerhand, Joachims Bruder (Name vergessen) zu begleiten. Nun steht im ein Gang bevor, der ihn in das eigentliche Leben führt, wo er Schmutz, Fäulnis und Tod erfährt, Entstehen und Vergehen als ewigen Lauf des Lebens. Mit akribischer Genauigkeit nimmt er wahr, was er auf der Fahrt zu Joachim erlebt: Sümpfe, Tiere, Pflanzen, aber auch Schweiss, Durst und Müdigkeit. Eigentlich kommt Faber ganz gut zurecht damit. Bewusste Gedanken macht er sich wenige, er ist auch hier ganz der Techniker, der aus den wenigen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, das Beste macht. Es stellt sich die Frage, ob es tatsächlich nötig ist, sich an einen solchen Ort zu begeben, um die Prinzipien des Lebens zu erfahren. Gibt in unserem Alltagsleben nicht genügend Situationen, wo man dies mit nur wenig mehr Sensitivität auch erfahren könnte? Schon die Pflanzen- und Tierwelt um uns zeigt dies doch sehr eindrücklich; wer hat noch nie einen verendenden Regenwurm auf regennasser Strasse gesehen oder eine verfaulte Pflanze gerochen? Doch den wichtigsten Schritt, nämlich den Bezug zu uns selbst, scheinen wir permanent auszulassen. Schon früh beginnen wir unsere Haare zu färben, damit graue Haare gar nicht erst aufkommen, Falten werden mit Crèmes behandelt und Fettpolster durch Sport und Diäten der Garaus gemacht. Doch die Paranoia geht weiter: Auch die Dinge um uns herum dürfen nicht altern, ständig wird alles ersetzt und erneuert, seien dies Kleider, Autos oder andere Gegenstände des täglichen Lebens. Wir haben Mühe mit Dingen, die etwas Patina an sich tragen, weil sie uns an unsere eigene Vergänglichkeit erinnern könnten. Also schmeissen wir schnell alles weg und kaufen es neu. Dass wir dadurch auch den emotionellen Bezug zu den uns umgebenden Dingen verlieren, stimmt zudem bedenklich: Während in früheren Zeiten ein Mädchen ihre eine Puppe vielleicht ihr ganzes Leben lang behielt, kann heutzutage beim Kauf einer neuen Barbie die alte gerade zum Entsorgen abgegeben werden. Vielleicht denken wir bald, dass wir unsere Partner und Kinder auch eine Art entsorgen können, wenn wir ihrer überdrüssig geworden sind. 3. Ein neuer Zeithorizont Als Faber und Werner Joachim endlich finden, hat sich dieser bereits erhängt. Verwesung selbstverständlich auch hier, doch Faber zeigt sich anfänglich unbeeindruckt. Doch eine Beeinflussung findet trotzdem statt. Zurück in New York, findet sich Homo Faber nur schwer zurecht. Die Gegenwart seiner Freundin Ivy, die viele Merkmale der Neuen Welt - bald seine "alten" Welt - verkörpert, ist ihm unerträglich ebenso wie der Gedanke, eine Woche warten zu müssen, bis er seine nächste Reise nach Europa antreten kann. Kurzerhand entschliesst er sich, per Schiff zu reisen. Er verabschiedet sich brüsk - und für sie unerwartet - von Ivy, packt wenige Sachen und nimmt am nächsten Morgen den Dampfer nach Europa. Seiner Rastlosigkeit sind nun einige natürliche - oder eigentlich technische - Grenzen gesetzt: mehr als den Schiffskörper hat er nicht, um sich zu bewegen, und auch Tätigkeiten gibt es nur wenige, ausser Essen, Lesen und ein paar Spiele mit den Passagieren. Aber es ist etwas da, das seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt: Sabeth, die sich im späteren Verlauf der Ereignisse als seine Tochter herausstellen sollte. Wie nichts anderes verkörpert sie Jugend, Frische und Perfektion; das Leben in seiner reinsten Form. Doch mehr als seine Tochter ist sie die Tochter Hannas, die sich für Kunst und wahre Schönheit interessiert. Obwohl dies Faber abgeht, respektiert er ihre Haltung, manchmal auch nur um ihretwillen. Die Faszination geht schliesslich so weit, dass er sich bei der Ankunft in Paris dazu entschliesst, Sabeth auf ihrer weiteren Reise durch Frankreich und Italien zu begleiten. Vergessen sind die Termine und die Geschäftsreisen, im Auto geht es in gemächlichem Tempo Richtung Süden, wo Griechenland und schliesslich Hanna das Ziel sein soll. Seneca schreibt in einem seiner Briefe an Lucilius, dass dem Menschen genug Zeit gegeben sei, obwohl der Mensch unter dem Eindruck stehe, immer zu wenig Zeit zu haben. Tatsächlich werde aber die meiste unserer Zeit mit nichtigen Tätigkeiten vergeudet. Man kann sich nun fragen, welche Zeit vergeudet ist und welche nicht. Fabers Ansicht wäre sicher diese, dass sein Berufsleben wertvolle Zeit darstellte, während die Fahrt durch Frankreich und Italien zwar schön, aber zu wenig Nutze wäre. Weshalb meinen wir immer, Arbeitszeit sei wertvolle Zeit, während Freizeit oft als verlorene zeit betrachtet wird? Ist es, weil wir in der Freizeit kein Geld verdienen? In Wirklichkeit ist es doch so, dass wir uns in der Rückschau meist an jene Zeit erinnern, die wir in der Freizeit verbracht haben, während uns die Arbeitszeit meist recht eintönig gewesen zu sein scheint. Auch wenn Arbeit einen wichtigen sozialen Zweck erfüllt, ist es wohl falsch, wenn man seine ganze Identität aus seinem Arbeitsplatz schöpft. Späte Erkenntnis Das Wiedersehen mit Hanna steht unter schlechten Vorzeichen: Sabeth ist verunfallt und wird in Griechenland sterben. Für Hanna ist klar, dass nur Faber an ihrem Tod Schuld ist. Dass Faber mit Sabeth darüber hinaus noch geschlafen hat, verschlimmert das Ganze noch zusätzlich. Trotz all dieser tragischen Ereignisse, kommen sich Walter und Hanna näher. Er nimmt ihre Tätigkeit ernst und beobachtet sehr genau, was sie tut. Durch seinen Magenkrebs bald selbst in das Spital gezwungen rekapituliert er vor der grossen Operation, die vielleicht sein Ende bedeutet, nicht seine Lebensgeschichte, sondern diejenige Hannas. All sein vormaliges Tun ist nebensächlich geworden, nach dem Tod Sabeths ist Hanna die eigentliche Hauptfigur. Ihr Leben scheint lebenswerter gewesen zu sein, auch wenn sie schliesslich sowohl ohne Mann als auch Kind dasteht; auch ihr zweiter Mann Joachim lebt ja nicht mehr. Brauchen wir solche Erlebnisse, um zur Erkenntnis zu kommen? Müssen wir erst krank werden oder einen Tod erleben, damit wir den wahren Wert des Lebens erkennen? Oder übersteigert Frisch die Ereignisse in seinem Roman deshalb, damit diese umso erkennbarer werden? Wenn er uns Hanna als eigentliche Hauptfigur hinstellt, sollen wir uns wohl ein Beispiel an ihr Leben. Verglichen mit dem, was Faber erlebt, läuft ihr Leben relativ unspektakulär ab; einzig das Verlassenwerden - durch Faber - und spätere Alleinsein mit dem Kind bedeutet eine gewisse Besonderheit. Doch ist sie eine Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt, die die Dinge so sieht, wie sie sind, und sie nicht mit Werten und Bedeutung auflädt, die ihnen nicht gebühren. Faber bedeuten seine Maschinen mehr, sie treiben die Welt an, die Technik hält das Schiff über Wasser. Das genügt ihm, um sein Denken und seine Wertvorstellungen ganz in den Dienst der Technik zu stellen. Das führt zu einer Ueberheblichkeit und Einbildung, wo die realen Werte der ihn umgebenden Welt falsch eingeschätzt werden. Passiert es uns nicht selbst oft, dass wir von unserer Sache so sehr überzeugt sind, dass wir ihr eine übertriebene Wichtigkeit zumessen. Heute sind es vielleicht mehr die Geldinstitute, deren Besitzer und Mitarbeiter das Gefühl haben, weil ihr Geld die Welt bewege, hätten auch sie Anteil am Lauf der Welt. Wer Homo Fabers Geschichte wird wohl erkennen: Es ist ein Irrtum.