Bange Minuten


Eigentlich wollte ich ja über das Sommerlager in „Le Pont“ schreiben, doch dann kam der Geistesblitz.

„Hoffentlich hält sie es durch“ denke ich. Raffael schaut lachend in die Runde, da kommt Vinzent herein. Alle fragen „Wo kommst Du denn her?“ Er antwortet, er schreibe in der Bibliothek. Raffael ist hell begeistert: „Ich komme auch!“ doch Vinzent: „Es bringt doch nichts, wenn alle mit nach hinten kommen“. Er braucht einen Duden. Wie er einen gefunden hat, geht er zurück.

„Hoffentlich hält sie durch“ denke ich. Steven, Raffael, Michael, Mathis, Marcel und Daniel halten eine Diskussion über ein Horror-Wachsfigurenkabinett. Sie können (wollen) Steven nicht glauben, dass jener Raum dreimal so hoch gewesen sei, wie drei Schulzimmer übereinander. Danach werden die verschiedenen Foltermethoden besprochen. Raffael unterbricht Steven und meint, wir sollen ihm nicht mehr zuhören und schreiben – doch kurze darauf ist sie wieder in vollem Gange. Marcel hat inzwischen in die Bibliothek übergewechselt, ihm folgen Michael und Benjamin. Plötzlich sagt Steven in die nun eingetretene Ruhe hinein: „Ich habe den Fahrplan der U-Bahn von London vergessen.“ Ich begreife nicht ganz, was damit gemeint ist, doch inzwischen diskutieren sie über die Lagerung von Verletzen.

Herr Forrer kommt herein und wir werden ruhig. Alle schreiben eifrig, wenn auch manche mit langen Denkpausen. Zwischendurch fragt mich Mathis nach Namen von verschiedenen Verletztenlagerungen. Sonst ist es ruhig. Herr Forrer korrigiert Hefte, wir machen ihm Arbeit mit Schreiben, und ich denke wieder einmal „Hoffentlich hält sie es durch.“

Steven schaut fragend in die Runde, doch da kommt ihm der rettende Einfall und er schreibt weiter. Mathis geht nun auch in die Bibliothek. Ich frage mich nun langsam, was ich schreiben soll, es sind nur noch elf von 21 Schülern da und diese sind ruhig. Herr Forrer räumt seinen Pult auf und blättert in einem Buch, Raffael killert, Steven schreibt, Sandra radiert Bleistiftstriche aus dem Deutschbuch und Myriam stört Manuela beim Suchen im Duden, da sie nicht bis zum oberen Regal kommt, von dem sie das Heft „So schreibe ich richtig“ haben will. Alle schreiben. Und ich glaube sagen zu können „Sie wird es durchhalten.“

Und nun zur Auflösung der Frage, wer es durchhalten solle, es ist die Tintenpatrone, meine allerletzte Tintenpatrone. Heute oder spätestens Morgen muss ich mir neue besorgen.

Aufsatz von Sekundarschüler Martin Vögeli Ende 1990


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